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Die Metamorphose von Hoffnung

  • Schmiedewurm
  • 6. Feb. 2019
  • 3 Min. Lesezeit

Der Blick in den Spiegel zeigt ihr, kleine Fältchen um die Augen, die noch vom Lachen herrühren. Grünbraune Augen, die das Funkeln nicht verlernt haben, auch wenn es manchmal nur die Überbleibsel von Tränen sind. Mit geübten Handgriffen wischt sie sich den Schlaf aus dem Gesicht und hofft dabei, einen Teil der Sorgen gleich mit zu entfernen. Mit der bitteren Erkenntnis, dass dies nicht ausreichen wird, geht sie unter die Dusche, sich die Nacht vom schwammigen Alabaster-Körper zu waschen. Die tägliche Reinigung von Körper und Seele.


Sie fängt an, sich für den Tag zu rüsten, indem sie sich einen dicken Panzer zulegt. Mit einem Lächeln gewappnet tritt sie dem Leben entgegen, um mitleidige oder gar anklagende Blicke abzuwehren und sich dabei selbst die grössten Vorwürfe zu machen.


Sie fügt sich in ihr Schicksal, einem weiteren Tag ohne Arbeit ins Gesicht starren zu müssen. Zu Beginn hat sie die Zeit der Ungebundenheit genossen, doch das Vorhandensein eben dieser Zeit wird zum Mahnmal ihres Versagens. Nicht zu wissen wie der Tag sinnvoll zu füllen ist, um von der Niedergeschlagenheit des Wollens und nicht Bekommens abzulenken. Das Empfinden des Sich-verloren-Habens, nicht mit unzähligen Stunden vor dem Fernseher zu betäuben.

Sie verflucht die Zeit, die zuweilen wie eine schwarze, zähflüssige Masse ist, die sich widerlich aufdringlich an sie heftet. Als ob sie durch einen mit Pech bestrichenen Wald läuft und dank ihrer Erfahrungen immer wieder hängen bleibt. Sie lässt Hautfetzen zurück, bis sie vollständig nackt am letzten Baum kleben bleibt.


Nichtsdestotrotz setzt sie sich an den Computer: das Tor zur Arbeitswelt und der täglichen Zurückweisung. Sie überlegt sich, was sie alles tun könnte, damit sich ihre Gedanken nicht nur um die Ratlosigkeit kreisen, die momentan über alles herrscht und ihren Verstand verschlingt. Das Ausbleiben des Tastenanschlages setzt sie unter Druck. Sie möchte schlagen, doch sie belässt es beim Schreiben. Sie starrt die Buchstaben vor sich an und schreit innerlich, dass sie sich doch endlich zu einem sinnvollen Miteinander verbinden sollen und sie nicht weiter passiv-aggressiv verspotten. Sie ignoriert die ohrenbetäubende Stille und versucht, die gefühlte Leere und das weisse Blatt Papier mit Inhalt zu füllen. Sie klammert sich an ihre dahinsiechende Kreativität. Sie kann das Verrotten des Ideenreichtums schon riechen. Ein modriger Geruch, der wie dicke, graue Nebelschwaden langsam und stetig an ihren Beinen empor kriecht, sie in das undurchdringliche Netz der Hilflosigkeit hüllt und sie erbarmungslos in die Tiefen der verzehrenden Hoffnungslosigkeit zieht. Sie sitzt da und versucht einen cleveren Text zu schreiben, um aus der Masse der Bewerber hervorzustechen. Wie Schachfiguren stellt sie die Worte auf und verschiebt sie, um sie taktisch richtig zu platzieren. Überlegt sich, ob Schachspielerin ein Beruf für sie wäre, bis sie sich eingestehen muss, dass sie keine Ahnung von Schach hat. Sie verwirft den Gedanken, so wie sie die Figuren umwirft. Umwerfendes Spiel, das Spiel mit der Sprache. Es nützt nichts: Sie sitzt am Computer und versucht, einen cleveren Text zu schreiben. Mit dem Mut der Verzweiflung wirft sie ihr Dossier in die Fluten der Stellenlosigkeit.


Aufflackernde Arroganz, die durch Frust und Kalorien genährt wird, da andere etwas haben, was ihr selbst verwehrt bleibt. Das vermeintliche Bewusstsein etwas besser hinzubekommen als das Gegenüber und doch nicht die Chance dazu zu erhalten, es zu beweisen. Und doch reisst sie sich zusammen, um den Gepflogenheiten des Anstands nachzukommen, alles weg zu lächeln, nur damit sie sich dann zuhause verkriechen kann. Die innere Zerrissenheit darüber wie sie Zuversicht und Neid Hand in Hand verhöhnen – ein ständiger Begleiter.


Irgendwann wurde aus der Hoffnung Furcht. Furcht, den Anforderungen nicht zu genügen. Zermürbende Selbstzweifel, die an ihr nagen. Schleichend wird aus der Hoffnung auf Arbeit die Hoffnung auf Ablehnung, um der persönlich auferlegten Schmach des möglichen Scheiterns nicht ausgesetzt zu sein. Ein Gefühl, das sie zuvor nicht kannte, denn sie kannte sich selbst und ihre Fähigkeiten.


Nach unzähligen Absagen mit austauschbaren Beweggründen, bilden Hoffnung und Enttäuschung eine Hass-Liebe, die sie in ein Wechselbad von Zweifel und Wut stürzen. Darüber zu sprechen, ihre lächelnde Rüstung abzulegen, macht sie verwundbar, zeigt ihre Zerrissenheit auf. Doch sie muss ihre Arbeitslosigkeit in die Welt hinausschreien, damit die Arbeitswelt weiss, dass es sie gibt. Die eine Mitarbeiterin, die ihren federnen Säbel schwingt und der schnöden Idee den Garaus ausmacht, um alle mit ihren Worten sirenengleich in ihren Bann zu ziehen. Damit ihre Texte und nicht mehr ihre schwankende Unsicherheit über die vom Wind gepeitschte See hallen und die wortkargen Küsten in Angst und Schrecken versetzen.


Der Blick in den Spiegel zeigt ihr, kleine Fältchen um die Augen, die noch vom Lachen herrühren. Grünbraune Augen, die das Funkeln nicht verlernt haben, auch wenn es manchmal nur die Überbleibsel von Tränen sind.

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