Das Schweigen der Vögel
- Schmiedewurm
- 10. Juni 2019
- 2 Min. Lesezeit
Ich schlage die Augen auf und habe das starke Bedürfnis, etwas zu erschlagen. Denn die gefiederten Rosetten der Lüfte fingen um kurz nach 5 Uhr morgens an, mich aus dem Schlaf zu schreien.
Die schlaflosen Nächte der Ornithologen haben dafür ein für alle Mal ein Ende, da ich das Rätsel um das Stiller-Werden der heimischen Felder und Wiesen lösen kann: Die verdammten Viecher hocken in meinem Rollladenkasten. Ich könnte meinen Lohn aufbessern, indem ich Führungen durch Nachbars Garten anbiete. Mir ist jedoch nicht so wohl bei der Vorstellung, dass ein einsamer Mann mit Hut, dicken Brillengläsern, Veste und einer Kamera mit riesigem Objektiv bewaffnet vor meinem Fenster steht, am Stativ rumspielt und dokumentiert, wie das Federvieh mich verspottet und zum Tölpel macht.
Wenn es wenigstens imposante Tiere wie Adler, Schwan, Storch oder Pelikan wären, aber doch nicht so ein faustgrosses, braun-graues Etwas. Wie soll ich mir den Traum vom Fliegen damit erfüllen? Ich wäre ein Nils Holgersson für Arme, der am Boden entlang robbt und dabei ein Häufchen Elend mit sich schleift.
Diese beflügelten Biester sollten lernen, die persönlichen Grenzen der anderen zu respektieren. Ich gehe auch nicht in den Wald, such mir einen netten Baum, setz mich auf einen Ast, warte bis kurz vor Sonnenaufgang und fange dann an zu brüllen, was das Zeug hält, und ihnen noch vors Nest kacke, weil mir gerade danach ist. Dennoch spiele ich einen Moment mit diesem Gedanken. Die Gefahr allerdings besteht, dass ich mich im Gehölz verlaufe, auf ein Lebkuchenhaus treffe und dann total überzuckert die Hexe frustriere, weil ich nicht in ihren Ofen passe.
Schon seit es den Ackerbau gibt, lehren hölzerne Vogelscheuchen mit beweglichen Armen und reflektierenden Bändern den Piepmätzen das Fürchten. Doch bei meinem Glück erwische ich noch Pinocchios Zwillings-Holzscheit. Ich möchte es nicht riskieren, dass aus dem lügenden Pflock ein richtiger Junge aus Fleisch und Blut wird. Ich hätte dann zwar keine Vögel, dafür einen vögelnden Teenager im Rollladenkasten.
Um auf der sicheren, pickelfreien Seite zu sein, entschied ich mich, diese Kreaturen mit Spiegelflächen zu blenden, denn dies sollte sie angeblich verscheuchen. Das scheinen meine geflügelten Ratten jedoch nicht zu wissen, denn die Alufolienbällchen, die ich hinters Fenster stopfte, wurden zu einem schillernden Nest umfunktioniert. Vogel gönnt sich ja sonst nichts.
Auch wenn ich jeden Morgen mit wachsender Begeisterung diesen zweibeinigen Wirbeltieren den Schnabel zukleben, die Federn einzeln ausreissen und die Flügel stutzen würde, habe ich mich für eine humane Art der Vertreibung entschieden: Das Fliegengitter. Der Traum vom Eigenheim für künftige Generationen ist geplatzt. Das feine Netz lässt Licht und Luft ungehindert ins Schlafzimmer dringen, aber keine Schädlinge im Federkleid. Nun ist das Ungeziefer endlich weg vom Fenster.
Noch heute sitzt ab und zu ein obdachloses Vögelchen auf dem Sims und pfeift eine traurige Melodie. Balsam für meinen müden, geschundenen Gehörgang. Mit einem Lächeln auf den Lippen, drehe ich mich im Bett.
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