Der Weg ins Büro
- Schmiedewurm
- 6. Feb. 2019
- 2 Min. Lesezeit
Ich quäle mich morgens aus den künstlichen Federn, denn ich will ja mein Gewissen nicht mit dem Gedanken belasten, dass es einen Haufen nackter Gänse gibt, die im Winter wegen meiner Schlafpräferenzen frieren müssen. Das Phantom-Geschnatter in meinem Kopf unterdrückend, schlurfe ich ins Badezimmer. Abgehärtet durch 36 Jahre Erfahrung, beschränkt sich mein Schreckensschrei nach dem Blick in den Spiegel auf ein Quietschen, das von den Fliesen hallt.
Nachdem ich mir die Nacht von meinem schwammigen Alabaster-Leib gewaschen habe und mich tapfer meinem Schicksal stellen werde, einem weiteren Arbeitstag ins Gesicht zu starren, mache ich mich menschentauglich. (Notiz an mich selbst: Mein Körper verfügt über eine den Haushalt revolutionierende Absorptionsfähigkeit, die ich patentieren lassen muss: ein Küchenpapier, das nur aufsaugt und nichts abgibt, ausser ab und an einen zynischen Kommentar vielleicht.) Ich möchte doch niemanden verjagen, zumindest nicht mit meinem Äusseren, da reicht meine Persönlichkeit.
Ich mache mich frisch (nicht so) fröhlich auf den Weg zum Bahnhof. Und weil ich das Geplapper meiner Mitmenschen auf ein Minimum reduzieren will, steige ich ins 1.-Klasse-Abteil. Doch da bot sich mir ein Bild des Grauens: Ich muss das 4er-Abteil teilen! Ich wusste nicht, dass im Ticketaufpreis auch Körperkontakt inbegriffen war. Ich muss das nächste Mal das Kleingedruckte lesen. Widerwillig setze ich mich, wohl darauf bedacht, Körper- wie Augenkontakt tunlichst zu vermeiden. Plötzlich drängt sich mir die Frage auf, ob sich auch wirklich jeder hier drin ein 1.-Klasse-Ticket leisten kann. Falls ja, muss ich daraus schlussfolgern, dass sich der Standard offenbar drastisch gesenkt hat und sich allem Anschein nach jeder ein solches «Privileg» erkaufen kann. Das erschüttert mich in meinen Grundfesten: Ein Klassensystem, das nicht unterscheidet!
Endlich am Bahnhof angelangt, muss ich aufhören, entsetzt den Kopf zu schütteln, wenn ich eine Hirnerschütterung vermeiden möchte. Ich mache mich auf den Weg zur zweiten Etappe meiner Reise: die Tramfahrt!
Zuerst kämpfe ich mich gegen den Strom derer, die Richtung Bahnhof wandern, um dann doch wie ein toter Fisch mit der Masse der anderen an eine überfüllte Tramhaltestelle gespült zu werden. Es schneit. Wie Sardinen quetschen sie sich alle schutzsuchend unter die spärliche Bedachung. Es ist ein ständiges Gedränge. Ich hätte wohl besser im Sportunterricht aufpassen sollen, denn es würde mir nun zugutekommen, wenn ich mehr Artist als Autist wäre.
Als das Tram einfährt, hechten sie alle darauf zu, in der Hoffnung noch einen der raren Sitzplätze zu ergattern. Ich lasse mich mitreissen, auch wenn es mich innerlich fast zerreisst. Gerne würde ich um mich schlagen, belasse es jedoch beim Beschlagen meiner Brillengläser, als ich das Tor zur Bedrängnis durchschritt.
Ich verteidige meine paar Quadratzentimeter Platz bis aufs Blut. Kochendes Blut, das böse Blicke verspritzt, sobald wieder ein Rucksack, ein gepolsterter Ellbogen oder wild um sich trampender Fuss mir meine Festung der Beharrlichkeit streitig machen will. Ich frage mich, womit die Winterjacken wohl gefüttert sind. Ich bekomme Hunger. Ich überlege mir, was es zu Mittag geben wird. Gefangen im Fegefeuer, ertrage ich die klassenlose Höllenfahrt stoisch.
Gerne würde ich mir einen Kokon bauen, der mich vor den restlichen Pendlern schützt und diesen mit fremden Federn schmücken – Gänsefedern zum Beispiel. Durch die globale Erwärmung wird das Geflügel in Zukunft auch bestimmt nicht mehr frieren. Auf meinen letzten Metern zu Fuss ins Büro, halte ich nach einem Güggeli Grill Ausschau.
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