Die Schutzheilige der Dorffester
- Schmiedewurm
- 3. Nov. 2019
- 1 Min. Lesezeit
Sie blickt in den Spiegel, zupft die zu kleinen Synthetik-Fetzen zurecht und sprüht ein letztes Mal grosszügig Haarspray aufs toupierte Haar. Sie weiss, dass es ein langer Abend werden wird. Denn einmal im Jahr erhalten die Dorfmatratzen Gelegenheit, die ranzigen Flecken mit billigem Make-up zu überpinseln. Sich in süsse Wolken des heruntergesetzten Wühltisch-Parfüms zu hüllen, um sirenengleich Betrunkene in ihren Bann zu ziehen.
Die barmherzige Samariterin der dunklen Gassen folgt dem Appell zur tätlichen Nächstenliebe. Sie erbarmt sich der Alkoholleichen, deren Vernunft aufgedunsen in einer Bierlache liegt und versucht, nicht darin zu ertrinken. Ihre geübten Finger machen sich ans Werk. Bettwanzengleich krabbeln ihre Nägel über Körper, um Kleider aufzuknöpfen und kurzweilige Freundschaften zu verknüpfen. Sie schenkt ihnen Wärme, Zuneigung und Herpes. Ein Andenken an ihre mitfühlende Geste.
Ihr selbstloses Verhalten ist die Krönung ihrer humanitären Arbeit dieser Nacht. Frisch aufgetragen hat das sündige Rot des Lippenstifts seine Wirkung nicht verfehlt. Nun wischt sie sich zufrieden die bröckligen Überreste mit dem Handrücken ab. Eine Bewegung, die ihren Dienstschluss einläutet.
Und wenn Tripper, Syphilis und Co. sich die Hände schütteln, weiss die versierte Schutzheilige, dass es ein erfolgreiches Dorffest war.
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