Siegesgewebe
- Schmiedewurm
- 18. Okt. 2020
- 2 Min. Lesezeit
Es ist Abend und ich fläze mich gemütlich auf dem Sofa, als ich plötzlich im Augenwinkel etwas über die Dielen huschen sehe. Bis ich die Taschenlampenfunktion meines Smartphones eingeschaltet habe, ist der Terror auf 6 oder 8 (?) ... egal, auf definitiv zu vielen Beinen, schon verschwunden.
«Ich werde dir deine Beine einzeln brechen, sie in mit Zement gefüllte Fingerhüte stecken und dich im Katzensee ersäufen», schreie ich in die Dunkelheit, während ich meine Füsse hoch ziehe und auf den Couchtisch stelle. Der habe ich's gezeigt. Wobei ich mich unwillkürlich frage, ob Spinnen überhaupt Knochen haben. Im Sinne von «kenne deinen Gegner» starte ich eine Googlesuche zu diesem Thema. Haben sie nicht! Auch unter Wasser atmen können sie. Verdammt.
Mit der Taschenlampe suche ich den Parkett nach meinem erklärten Feind ab. Ich schalte das Licht ein. Finde trotzdem nichts. Er könnte auch an den Wänden sein. Mir von oben auf den Kopf fallen. Oder er schleicht sich von hinten an, um mich mit seinen frisch gesponnenen Fäden hinterrücks zu strangulieren. Werden die Nachbarn versuchen mich zu retten oder halten sie mich für einen Einbrecher, der die Hütte ausrauben möchte. Das einzige, das jedoch geraubt wird, ist mein Schlaf. Der Verstand hat sich schon lange verabschiedet. Du kommst zu spät Spinne, denke ich mir triumphierend!
Angetrieben vom Hunger nach Zerstörung, krabbelt sie unter dem Sideboard hervor. Mordlustige Augen starren mich hemmungslos an. Ich höre, wie sie ihren Kiefer knacken lässt. Gewillt, mich zu beissen, sich in mir festzukrallen, während sie mir ihren giftigen, Beute zersetzenden Verdauungssaft in die Wunde spritzt. Das laute Rumoren ihres Magens unterstreicht ihre Absichten.
Den Fehdehandschuh gezückt, wirft sie ihn mir nonchalant vor die Füsse. Ich nehme die Herausforderung zum Zweikampf an. Doch wie soll ich mich mit einem Arachnoiden duellieren, wenn er doch keine Zeigefinger hat, um den Abzug zu ziehen?
Im Kampf um Leben und Tod werfe ich mich wagemutig auf den etwa 1.5 cm grossen Schrecken. OK, vielleicht nicht ganz so wagemutig und eher auf den Zehenspitzen hin und her tänzelnd mit einem winzigen Angstschrei auf den Lippen. Ich weiss nicht, wen meine Riverdance-Aktion mehr irritiert, das Tier oder meinen unrhythmischen Körper. Ich setze einen Eurythmie-Notruf ab, doch keiner scheint ihn zu sehen oder zu verstehen. Ob ich mich vertanzt habe?
Die haarige Ausgeburt der Spinndrüsen besitzenden Gliederfüssern kann meine Unsicherheit riechen. Sie holt zum Sprung aus und greift mich frontal an. Dieses hartgesottene Exemplar drückt mich zu Boden und versucht, mir ihren Willen aufzuzwingen. Wir wälzen uns hin und her. Bis plötzlich Totenstille einkehrt.
Der blaue Fleck auf meiner Hose zeigt, Spinnen mögen zwar keine Knochen haben, aber ihr von einem Chitinpanzer umsponnenes Skelett kann zerquetscht werden. Ich wische den Blaublüter ab. Die Spinne ist tot, lang lebe die Spinnerin.
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