Verstrickt und zugenäht
- Schmiedewurm
- 14. Mai 2019
- 2 Min. Lesezeit
Ich suchte nach einem Hobby, das ich im Winter oder bei nassem Wetter vor dem Fernseher ausüben konnte, um meine Zeit vor der Flimmerkiste zu rechtfertigen. Auf den Spuren nach möglichen verborgenen Talenten habe ich mich bei einem Strick-Club angemeldet.
Mit viel Freude und wenig Ahnung ging ich zum ersten Treffen. Meine kühnsten Vorurteile wurden übertroffen. Buntes Allerlei türmte sich bis unter die Decke. Jeder Regenbogen würde erblassen ob der opulenten Farbenvielfalt in diesem Laden.
Ein haariges Wollknäuel begrüsste mich freundlich und verwies mich auf einen freien Platz am Tisch. Bevor sich jedoch jeder seine Stricknadeln schnappte, wurden mit wachsender Begeisterung die neusten Trends und Kreationen an den Wangen gerieben, um die Eigenschaften des edlen Zwirns auch vollumfänglich erfühlen zu können. Als ich an der Reihe war, die verschiedenen Anteile an Kunst-, Tier- und Pflanzenfasern zu erreiben, hoffte ich inständig, keine der eingearbeiteten Haare zu berühren. Ich wollte noch nachfragen, wer seinen Damenbart vermisste, aber ein Blick in die Runde zeigte mir, dass noch genügend Pelz vorhanden war und sich niemand Sorgen über eine Oberlippen-Erkältung machen musste.
Nachdem ich mich entschieden habe, was ich stricken und welches Material ich verwenden möchte, war die Wahl der Farbe dran. Gar nicht so einfach, gedeckte Farben zu finden, in diesem schrillen Woll-Gemisch. Denn «kunterbunt ist nicht farbenfroh genug» scheint die Devise dieses Clubs zu sein.
Wie es sich gehörte, habe ich vor dem Verwenden meiner neuen Errungenschaften mein Gesicht mit der grauen Wolle abgeschrubbt, bis ich erkennen konnte, wie das Schaf hiess und auf welcher Wiese Mary stand. Noch 5 Minuten länger und ich hätte den Schäfer auch noch erfühlt.
Nun war der grosse Moment da. Ich konnte damit beginnen, meine ersten Stulpen zu stricken. Mein breites Grinsen wich einem Stirnrunzeln, da mir bis zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst war, dass man einen Doktor in Mathematik haben muss, um eine Strickanleitung verstehen zu können. Ich drehte und wendete die Anleitung und kam mir vor wie in der dritten Klasse, als der Lehrer einen Dreisatz an die Tafel schrieb: In 3 Tagen verbrauchen 6 Dieselmotoren 2016 Liter Dieselkraftstoff bei einer täglichen Laufzeit von 16 h. Durch Ausweitung der Produktion sollen in Zukunft 8 Motoren eingesetzt werden und die tägliche Laufzeit um 2 h erhöht werden. – Wie heisst das Schaf auf der Wiese?
Die Kursleiterin nahm sich meiner an und zeigte mir wie man Maschen aufnimmt und diese dann auch strickt. Die Stunde war vorbei und ich hatte nun 1 Monat Zeit das Gelernte bis zum nächsten Kurs anzuwenden.
Am zweiten Treffen, nach der obligatorischen Rubbel-Runde, zeigten die Teilnehmer, was sie alles in dieser Zeit geschafft hatten. Man konnte Jacken, Pullover und Schals erkennen und ein zu gross geratener Pulswärmer, der eigentlich eine Stulpe werden sollte. Dieses Szenario wiederholte sich Monat für Monat.
Ich bemerkte, dass meine Haare an den Beinen schneller wuchsen, als ich stricken konnte. Daher legte ich die Stricknadeln weg und rasierte mir meine natürlichen Stulpen, als die Sonne anfing zu scheinen.
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